Fit für die virtuelle Lehre – Erfahrungsbericht Virtuelle Tutor_innen-Qualifizierung im Sommersemester 2020
3. Juni 2020 – 30. Juni 2020 – Working Between Cultures
Jahrelang lief die Tutor_innenqualifizierung erfolgreich im Seminarraum. Wir haben tolle Erfahrungen gesammelt und auf allen Seiten wurde viel gelernt. Wir haben uns jedes Jahr auf die Veranstaltung gefreut; unser Konzept war bewährt, wir haben verlässlich gelehrt. Ende März standen wir dann vor der Herausforderung: Das Ganze bitte virtuell, jetzt sofort und ganz einfach! Wir haben uns gemeinsam mit der Universität auf das Experiment eingelassen und dabei einiges gelernt. Wir freuen uns, unsere Erkenntnisse hier teilen zu dürfen.
# Nicht ohne Kontakt
Wir haben das Modell Live-Session plus eigenständige Aufgaben zwischen den Blöcken gewählt, weil Miteinander und Vertrauen vor allem im persönlichen Kontakt mit Lehrenden und Teilnehmenden entstehen. Ein rein auf asynchrone Lehre ausgelegtes Format ist für dieses Thema und unsere Zielstellung nicht passend. Neben den Live-Sessions gab es Aufgaben zur alleinigen und zeitlich selbstbestimmten Bearbeitung. Außerdem gab es Aufgaben zur Bearbeitung in Paaren und in Dreiergruppen. Das kam bei den Studierenden sehr gut an.
# Nicht ohne Fehler- und Innovationskultur
„Miteinander voneinander lernen“ ist grundsätzlich unsere Haltung in allen Veranstaltungen – ganz egal, wo sie stattfinden: Wir als Expert_innen für Didaktik, die alle einbezieht; die Tutor_innen als Expert_innen für ihr Fach und die jeweiligen Bedingungen an der Hochschule. Wir alle gemeinsam als Lernende in dieser für uns alle neuen Situation. Damit sind wir immer offen und transparent umgegangen. Wir haben gefördert, dass Fragen untereinander gelöst werden können und eine Kultur des Teilens unterstützt. Wenn jemand etwas für alle Hilfreiches gelesen oder erfahren hat, wurde es in der Gruppe geteilt. Dafür haben wir auch immer feste Zeiten eingeräumt.
Online haben wir bewusst eine Session als Innovationslabor genutzt. Wir sind bewusst in einer spielerischen, experimentellen Haltung zusammen gekommen und haben gemeinsam getestet, ausprobiert und adaptiert. Die Tutor_innen haben die Möglichkeit im geschützten Rahmen Fehler machen zu dürfen sehr dankbar aufgenommen. Sie haben dort Tools und Ansätze ausprobiert, die sie später im Tutorium mit ihren Studierenden umgesetzt haben. Im Feedback haben sie diese Möglichkeit als sehr hilfreich bewertet.
# Nicht ohne Fokus und „Timeboxing“
In virtuellen Seminaren gilt es, viel schneller und fokussierter zum Punkt zu kommen. Zum einen, weil weniger Zeit zur Verfügung steht. Zum anderen, weil man im selben physischen Raum Dinge doch noch mal anders transportieren kann, Missverständnisse schneller auffallen und Rückfragen, Unverständnis und grundsätzlich alle Reaktionen in der Gruppe besser – und vor allem auf einen Blick – von Lehrenden erfasst werden können.
Wir haben deshalb gute Erfahrungen damit gemacht, uns nochmal ganz genau einen Satz zu überlegen, der zusammenfasst, was wir den Studierenden mitgeben wollen. Für jede Session gibt es drei bis fünf solcher Sätze, die wir zum Check-Out auch nochmal abgleichen. Diese starke Fokussierung, ergänzt durch pointierte Beispiele, Geschichten und Visualisierung kommt sehr gut an.
Außerdem haben wir das Prinzip „Timeboxing“ umgesetzt: Für alle Aufgaben gibt es im Vorfeld kommunizierte Zeitbegrenzungen und ein klares Zeitmanagement. Wir geben Rückmeldungen in die Kleingruppen, wieviel Zeit noch verbleibt. Bei Präsentationen läuft ein für alle sichtbarer Timer.
# Nicht ohne Co-Host
„Never host alone“ war von Anfang an unser Grundsatz und wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Der Mehrwert ist auf verschiedenen Ebenen sehr groß: technische Unterstützung, Sprecher_innen-Wechsel, Rückmeldung, ob ich gerade zu schnell oder zu langsam spreche, gutes Eingehen auf den Chat, Vorbereitung von Break-Out-Sessions während die Aufgabe durch die andere Person erklärt wird.
Wichtig ist ein klarer, privater Kanal, über den sich Co-Host und Trainer_in, besprechen können. Das kann ein privater Chat sein, aber auch das Handy – das muss im Vorfeld geklärt sein.
# Nicht ohne Vorbereitungen
Unsere Vorbereitungen waren detaillierter als im Präsenzseminar, weil wir alle Links und alle (!) Arbeitsanweisungen im Vorfeld in einen Detailplan geschrieben haben, um während des Seminars nur noch mit Copy & Paste arbeiten zu können.
Es gab ausführliche E-Mails im Vorfeld an die Teilnehmenden, auch eine Notfallnummer wurde kommuniziert, falls jemand Schwierigkeiten hätte, in die Session zu kommen. Im Feedback wurde dies als sehr hilfreich bewertet. 15 Minuten vor Beginn haben wir die Session geöffnet, um pünktlich zu starten. Gerade anfangs wurde dies sehr stark in Anspruch genommen. Später war das für uns die Zeit, auch als Team nochmal anzukommen.
Außerdem war es der Zeitpunkt, um zu überprüfen:
● Handy aufgeladen?
● Laptop aufgeladen?
● Kabel griffbereit?
● Alle Rechte zur Interaktion (Chat, Bildschirm teilen, Whiteboard bearbeiten, eigenständige Mikrofon Stummschaltung und Aufhebung) den Teilnehmenden zugewiesen?
# Nicht ohne Back-Up
Back-Up Maßnahmen für verschiedene Szenarien zu treffen, kann die Session retten. Was machen wir, wenn der_die Trainer_in plötzlich offline ist? Wie lösen wir technische Probleme bei Teilnehmenden? Für alles haben wir einen Plan B entwickelt. Zu zweit zu hosten war aber der allerstärkste Back-Up, der beste Plan B, der uns mehrfach die Live-Session am Laufen hielt! (siehe auch den Punkt # Nicht ohne Co-Host)
Was schief ging und wie wir die Session auffangen konnten:
● Aus dem virtuellen Seminarraum geflogen, als ich eine Kleingruppe unterstützen wollte – Mein Co-Host übernimmt!
● Mikrofon der Teilnehmerin funktioniert nicht – sie nimmt über Chat teil und nutzt für die Kleingruppenarbeit das Telefon.
● Student kann seine Arbeitsergebnisse nicht präsentieren, weil das Teilen des Bildschirms nicht funktioniert – er schickt die Ergebnisse schnell per Mail und wir übernehmen das Teilen.
So haben die Live-Sessions immer Spaß gemacht und konnten vor allem ohne lästige Wartezeiten weitergehen! Anfangs gab es häufiger Schwierigkeiten technischer Natur, aber dank des Ansatz der gemeinsam Lernenden (siehe Punkt # Nicht ohne Fehler- und Innovationskultur) haben wir alle Herausforderungen gemeistert.
# Nicht ohne Interaktion
Niemals! Niemals! Niemals! ohne Interaktion. Studierende haben uns oft und ohne Begeisterung berichtet, dass etliche Lehrende einfach die Kamera anschalten und 1,5 Stunden erzählen.
Wir dagegen lieben Interaktion. Am besten in Breakout-Sessions, aber auch wenn Breakout-Sessions nicht möglich sind, gibt es viele Möglichkeiten zur Interaktion. Das fängt bei Abfragen im Chat an: „Schreibt mal in den Chat, was für euch der wichtigste Punkt bei diesem Impuls war!“ Bei kleineren Gruppen können alle persönlich etwas sagen.
Toll sind auch Umfragen, Erwartungsabfragen, z.B. über Scrumblr (http://scrumblr.ca) oder ähnliche Tools. Auch Quizzes sind eine gute Möglichkeit, um Teilnehmende einzubinden.
Whiteboards lassen sich in allen gängigen Videokonferenzplattformen bearbeiten. Dort kann man über Skalierungsfragen z.B. fragen: „Mit wie viel Energie bin ich heute da?“. Und die Studierenden setzen auf dem Whiteboard ein Kreuz an der Stelle, die für sie zutrifft. Nach einer Pause kann man Teilnehmende bitten: „Zeigt mir mal mit einem Häkchen oder einem “Daumen hoch”, dass ihr wieder alle da seid!“
# Nicht ohne einen Check-In
Ein Check-In, der die Studierenden abholt und einbindet ist neben der Interaktion unsere Empfehlung für jede Session! Wir haben z.B. nach einer Begrüßung und Einführung Einstiegssätze vorbereitet, die die Studierenden im Chat vervollständigen mussten, z.B.
● „Corona ist ….“
● „Digitales Lernen ist …“
● “Virtuelles Tutorium ist ….”
Was die Tutor_innen dort geschrieben haben, hat uns gezeigt, welche Meinungen und ggf. auch Widerstände in den Gruppen vorherrschen. Wir konnten dadurch auch die wichtigen Themen, Glaubenssätze und Emotionen in Veränderungsprozessen aufgreifen. Das war für unsere Arbeit sehr hilfreich und wichtig.
Wie wichtig der Check-In für die Studierenden ist, wurde in der Rückmelde-Runde nach drei Wochen bestätigt: Die Studierenden haben sich sehr gut abgeholt gefühlt, fanden den Einstieg leichter und haben schneller Vertrauen zur Gruppe und den Lehrenden gefasst.
In einem anderen Seminar hatten wir einige Teilnehmer_innen, die noch im Ausland festhingen. Dies bei der Check-In-Frage: „Von wo bist du heute zugeschaltet?“ thematisieren zu können, verschaffte ihnen große Erleichterung.
# Nicht ohne Break-Out-Sessions
Nach der ersten Break-Out Session im Seminar war die Stimmung jedes Mal positiv verändert. Den Studierenden tat es gut, im geschützten Rahmen miteinander reden zu können, sich zu Impulsen und Modellen auszutauschen. Nach Theorie-Impulsen gab es einen Austausch in Murmelrunden. Eigene Erfahrungen aktivieren, Transfermöglichkeiten erarbeiten, Aufgabenergebnisse vergleichen – all das fand in Breakout-Sessions statt. Und dazu konnten die Tutor_innen Kernergebnisse festhalten – auf dem Whiteboard oder in einem Etherpad. An manchen Punkten konnten sie zusätzlich auch im Plenum präsentieren. So konnten auch wir gut nachvollziehen, was Anliegen und wichtige Punkte waren.
# Nicht ohne Visualisierung
Visualisierung ist ein elementares Element guter Lehre – das gilt im virtuellen Raum wie im Seminarraum. Wir haben alle Arbeitsanweisungen im Vorfeld ausformuliert (siehe Punkt #Nicht ohne Vorbereitung), sie dann mündlich vorgestellt und zusätzlich in den Chat kopiert. So waren sie für die Studierenden immer präsent, auch, wenn sie in eine Break Out Session gegangen sind, sie im Chat oder auf einem geteilten Dokument gearbeitet haben.
# Nicht ohne Pausen
Virtuelles Arbeiten braucht neben der Interaktion auch viele Pausen. Wir haben gute Erfahrungen mit Mini-Pausen von 7 Minuten gemacht, die wir etwa jede Stunde gesetzt haben. Dabei haben wir einen Timer über den Bildschirm laufen lassen (Bildschirm teilen), z.B. von https://www.timeanddate.com/timer/ und alle waren pünktlich wieder da. Für alle, die es etwas spielerischer mögen, empfehlen wir den Timer https://www.online-stopwatch.com/classroom-timers/ Dort kann man verschiedenen animierten Tieren dabei zusehen, ob sie es rechtzeitig ins Ziel schaffen. 🙂
Je nach Länge der Veranstaltung müssen natürlich auch längere Pausen von 15-20 Minuten eingeplant werden. Hier kann man sich an seinen Erfahrungen aus Präsenzveranstaltungen orientieren.
Außerdem haben wir Bewegungspausen gemacht, sind gemeinsam aufgestanden und haben Sport vor der Kamera gemacht: Dehnen, Stretching, Durchschütteln. Besonders schön war es natürlich, wenn Tutor_innen diese Sessions selbst angeleitet haben, z.B. weil sie als Sportlehrer_in oder beim Hochschulsport aktiv sind. Dabei haben wir auch gelernt: Mancher Zentraler Hochschulsport hat einen richtig guten Instagram Account, wo sich gute Anregungen finden. So z.B. die Universität Stuttgart. https://www.instagram.com/hochschulsportstuttgart/
# Nicht länger als 3 Stunden
Kleine Blöcke von 2,5 – 3,5 Stunden sind optimal für Online-Sessions. Durch die Rückmeldung der Studierenden wurden wir nochmal sehr darin bestärkt, dass das ein guter Zeitrahmen für virtuelle Lehrveranstaltungen ist. Virtuelle Lehre fordert die Aufmerksamkeit und vor allem das Multi-tasking aller Anwesenden mehr heraus als eine Veranstaltung im Seminarraum, weil wir (Lehrende und Studierende!) gleichzeitig mehrere technische Tools bedienen, überprüfen und benutzen müssen. Daher braucht es nach drei, spätestens nach vier Stunden einfach einen Cut, weil die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit erschöpft sind.
Aus unseren Erfahrungen empfehlen wir eine beginnende Veranstaltung einmal, maximal zweimal pro Woche für drei Stunden anzusetzen, um persönliche Beziehungen aufbauen zu können und das Thema intensiv starten zu lassen. Später im Semester bzw. im Verlauf der Veranstaltung, kann der Abstand zwischen den einzelnen Sessions dann länger werden.
#Nicht ohne DSGVO und Schutzmaßnahmen
Sicherheit und Datenschutz müssen wichtige Kriterien bei der Auswahl der Tools darstellen. Wir haben mit Adobe Connect, Webex Training und Zoom gearbeitet. Hier gibt es verschiedene Bedürfnisse (Sicherheit, Anonymität) und Features (Möglichkeit zu Breakout-Sessions, Chats, Möglichkeit Videos aufzuzeichnen), die gegeneinander abgewogen werden müssen. Wir haben mit dem jeweiligen Tool versucht, den größtmöglichen Schutz und DSGVO-Konformität herzustellen und gleichzeitig methodisch-didaktisch gut arbeiten zu können. Für Umfragen verwenden wir z.B. Pingo statt Mentimeter oder forms.
In der Einführungs-E-Mail weisen wir auf ein paar Grundlagen hin, wie z.B. sich bei Zoom nicht über Facebook einzuloggen. Außerdem arbeiten wir mit der Funktion der Warteräume und mit Passwörtern, um besser kontrollieren zu können, dass niemand vorbeikommt, der nicht in unseren Seminarraum gehört. Insgesamt nutzen wir lieber Open Source und Open Educational Ressources und prinzipiell nur Tools, bei denen sich die Studierenden nicht anmelden müssen. Also z.B. Etherpads anstatt Google Docs.
# Nicht ohne Nachbereitung
Eine gute Dokumentation gehört natürlich wie bei einem Seminar im Seminarraum einfach dazu. Anfangs haben wir noch Screenshots von Whiteboards der Teilnehmenden gemacht, mit fortschreitender digitaler Kompetenz schickten uns die Tutor_innen nach ihrer Präsentation ganz selbstverständlich von selbst die Datei im Chat oder per E-Mail. Auch die Funktion den Chat zu speichern, ist sehr hilfreich. Da wir den Chat aktiv nutzen, liegen dort wahre Erkenntnisschätze. Diese sammeln wir und stellen sie zusammen mit den Screenshots und den Links zu den Etherpads in die Dokumentation.
Hybride Lehre für die Zukunft
Wir blicken auf einen spannenden Semesterstart zurück. Eine Qualifizierung läuft noch bis Juli 2020 weiter. Wir treffen uns nun noch einmal monatlich virtuell und tauschen uns aus, erarbeiten weitere Inhalte und reflektieren die aktuelle Praxis im Tutorium.
Für die Zukunft können wir uns gut vorstellen, das Beste aus der virtuellen Lehre mitzunehmen und zu hybriden Formen überzugehen. Sich anfangs persönlich kennenzulernen, ist ein schöner Start, wenn dieses Semester auch gezeigt hat, dass das auch online geht. Und gerade für Hochschulen mit langen Anfahrten der Studierenden überzeugt diese Möglichkeit, sich häufiger und in kleineren Happen sehen und miteinander lernen zu können.
Working Between Cultures
Working Between Cultures verbindet Menschen und Organisationen im Umgang mit Vielfalt. Wir unterstützen dabei, ein gutes und lebendiges Miteinander in Teams, in Organisationen und im Seminarraum aufzubauen. Seit 2012 arbeiten wir mit zahlreichen Hochschulen, Universitäten und Wissenschaftlichen Institutionen, z.B. zu den Themen „Vielfalt in der Lehre“,„Gute Zusammenarbeit in internationalen und heterogenen Wissenschaftsteams“ sowie „Führung im Wissenschaftskontext“ zusammen. Wir bieten Train-the-Trainer Formate für Tutor_innen und Lehrende an.
Diesen beitrag mit Illustrationen und einem Tool-Glossar finden Sie als PDF abgehängt. Ein Kurzversion ist im dghd Newsletter 02/2020 erschienen.
Details
- 3. Juni 2020 - 30. Juni 2020
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